Reportage: KulturWind XXI – Märchenland und Prinzenrolle

Zehn Vollblutfrauen gaben Märchen neue Wende

„…und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“ Diese Prophezeiung sei nicht mehr zeitgemäß, dachte sich die Senioren-Theatergruppe immergrün, die am 21.11.2014 im FuNTASTIK in der Meißener Straße gastierte. Sie zeigten, dass es auch anders gewesen sein könnte.

Im ersten Akt erwacht Dornröschen nach 100-jährigem Schlaf durch den Kuss eines Prinzen, so wie dies das Märchen der Gebrüder Grimm seit Urzeiten erzählt. Mit ihr erwacht der ganze Hofstaat und die Königinmutter sieht es als größtes Glück, die Hochzeit mit dem Prinzen in Prunk und Protz vorzubereiten. Aber Dornröschen ist unschlüssig, zumal sie von den herbeieilenden Schneewittchen, Aschenputtel, Rapunzel, Goldmarie, Rotkäppchen und der Hexe mit einer anderen Realität vertraut gemacht wird. So glücklich sind die Prinzessinnen ja gar nicht. Rapunzel klagt, dass sie nach der Vertreibung des Prinzen ihre Zwillinge allein erziehen musste. Auch möchte sie endlich ihren Zopf loswerden und eine schicke Kurzhaarfrisur tragen. Doch das sieht der Prinz gar nicht gerne. Schneewittchens Mann geht ständig zur Jagd, anstatt seinen familiären Verpflichtungen nachzukommen. Aschenputtel ist gestresst von den vielen Tanz-Gesellschaften, die im Schloss stattfinden. Beziehung ist Arbeit, verkündet sie. Der Prinz kümmert sich kaum noch um sie. Rotkäppchen hatte es definitiv satt, das brave Mädchen zu spielen und hat am Waldesrand zusammen mit dem bösen Wolf eine Bar mit dem Namen „Zum roten Hut“ eröffnet, in die sie Dornröschen einlädt, ein paar Tage zu verbringen.

Dort spielt dann auch der 2. Akt der Geschichte, denn Dornröschens Zweifel an der Hochzeit werden immer stärker. Sie nimmt die Einladung in die Bar ‚Zum roten Hut’ schließlich an. Dort trifft sie auf alle anderen Prinzessinnen, die selbstbewusst ihr Schicksal bereits in die Hand genommen haben und sich nicht mehr auf Traumprinzen verlassen wollen.

Rapunzel ist kaum wieder zu erkennen. Der Zopf ist ab und sie vertreibt jetzt Treppenlifte! Aschenputtel will einen Online-Shop für internationalen Tanzschuh-Verkauf betreiben, und zwar unter www.tanze-mit-mir-in-den-morgen.com. Goldmarie hat aus Frust als geschiedene Frau einen Gold An- und Verkauf begonnen, Schneewittchen eröffnet einen Märchenwald. Dornröschen nennt sich jetzt Rosalinde Dorn und ist allein erziehend. Sie entscheidet sich, ihren Schlosspark der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und starke Männer zum Rasenmähen und Büsche-Schneiden zu engagieren. Das Kind, das sie von ihrem Prinzen bekommen hat – bei einem Kuss war es leider nicht geblieben – will sie ebenfalls zur Selbstständigkeit erziehen.

Diese teils haarsträubenden aber auch realistischen Wendungen wurden von den Damen mit großer Überzeugungskraft und Leidenschaft dargestellt. Die eingestreuten Schlager aus den 70-ern gaben dem Ganzen die Würze und konnten von den meist gesetzteren Zuschauern problemlos mitgesungen werden. Der einzige Mann im Ensemble begleitete die Damen auf seinem Akkordeon. Mühelos gelang es ihm, sich auf die unterschiedlichen Tonlagen einzustellen. Dafür erhielt er großes Lob und das Ensemble sang voller Überzeugung mit dem Publikum gemeinsam „So ein Mann, so ein Mann, zieht mich unwahrscheinlich an…“ Die 56 Zuschauer waren von dem Stück sehr angetan und spendeten der Gruppe begeisterten Applaus.

Für den SüdWestWind
Ursula Schlößer